Mit guten Gründen glauben? |
Sehr geehrter Herr Corrodi
Ich beziehe mich auf die Anfrage von Hansruedi Stutz vom 14. September 2004 betreffend einer offenen Diskussion des Themas „Kreationismus“ im VBG sowie Ihre Antwort an Hansruedi Stutz vom gleichen Datum. Ich habe Ihre Antwort sehr interessiert gelesen und habe auch Ihr Dokument „Mit guten Gründen glauben“ eingehend studiert. Im Gegensatz zu den Schriften eines Peter Rüst kann ich einiges von Ihrem Gedankengut nachvollziehen und teilweise auch unterstützen. Trotzdem bin ich zum Schluss gekommen, dass Sie sich einerseits irren und dass Sie anderseits nicht konsequent sind. Im Folgenden möchte ich meine Behauptungen begründen.
1. Irrtum
Ihr grösster Irrtum ist Ihre Behauptung, dass die Bibel ein Religionsbuch
sei. Ob die Bibel für Sie persönlich ein Religionsbuch ist, soll für
diese Diskussion nicht relevant sein, die Tatsache ist aber, dass die Bibel
sich selber nicht als Religionsbuch sieht, sondern als Offenbarung Gottes in
Raum und Zeit. Diese Offenbarung hat dabei tatsächlich in historischer
Zeit stattgefunden und die Autoren der Bibel haben zu jeder Zeit tatsächlich
geschehene Geschichte der Nachwelt überliefert. Deshalb ist die Bibel aus
unserer Sicht primär ein historisches Dokument, welches Aussagen über
vergangene Geschehnisse macht. Die gleiche Ansicht vertritt z.B. auch der Aegyptologe
und Historiker, David Rohl, wenn er schreibt: „Ich bin bereit, die Erzählungen
des Alten Testaments als eine ebenso wertvolle Quelle für die alte Geschichte
zu akzeptieren wie jedes andere antike Zeugnis. … Ich kann dafür
die folgenden Argumente anführen: Alle antiken Dokumente sind von Menschen
geschrieben und verkörpern deshalb die Vorstellungen, Hoffnungen und Traditionen
einer bestimmten Kultur. … Das Alte Testament ist eine Sammlung überlieferter
Texte. Es ist zumindest zum Teil die Geschichte eines Volkes. Ob es „historische
Tatschen“ enthält, kann man nur herausfinden, wenn man die gleichen
Kriterien wie bei anderen Texten anwendet. Wenn Deutungen anderer, unabhängiger
Texte und archäologischer Funde mit den glaubhaften und nichtallegorischen
Elementen der Erzählungen übereinstimmen, ist man als Historiker berechtigt,
diese Elemente in seine Geschichtsdarstellung zu übernehmen.“ (David
Rohl, Pharaonen und Propheten, Seiten 60 und 61).
Wir lehnen Ihre 1. These vollständig ab, da sie nichts anderes als eine nicht belegte Behauptung ist. ( Thesen in Kurzform)
Ihre 2. These können wir zwar grundsätzlich bejahen, das Problem ist aber, dass es nicht ganz klar ist, was Sie genau unter „Religiöse Wahrheiten“ und was unter „wissenschaftlicher Theorie“ verstehen. In der Bibel steht, dass Gott die Pflanzen und Tiere „nach ihrer Art“ geschaffen hat. Ist das nun eine „religiöse Wahrheit“ oder kann diese Aussage als These für eine wissenschaftliche Theorie dienen? Aus dieser These hat z.B. Wort und Wissen die Theorie des „Grundtyp-Modells“ formuliert. Diese Theorie kann wissenschaftlich mit Experimenten überprüft werden und ist deshalb auch falsifizierbar.
Anderseits gibt es Aussagen in wissenschaftlichen Theorien, die eindeutig religiösen Charakter aufweisen, wie z.B. die nicht beweisbaren Aussagen über den Ursprung der Materie und des Lebens. Auch werden in wissenschaftlichen Theorien Behauptungen aufgestellt, die nicht falsifiziert werden wie z.B. die Behauptung, dass „sich das Leben aus biochemischen Zufallsprozessen zufällig auf der Erde entwickelt hat“. Seit über 50 Jahren versucht man, diese Aussage im Labor mit Experimenten zu beweisen. Diese Experimente sind alle gescheitert. Das sollte doch bedeuten, dass sich diese Aussage als falsch erwiesen hat. Weshalb wird diese These nicht verworfen? Könnte der Grund etwa darin liegen, dass das Fundament dieser wissenschaftlichen Theorie nichts anderes als eine Weltanschauung ist (eine atheistische Religion, wie z.B. der Naturalismus oder der Materialismus)?
Ihre 3. These können wir voll und ganz unterstützen.
2. Missverständnisse
Ihre folgenden Aussagen beruhen auf einem Missverständnis: „Was folgt
ist einzig die Absurdität des Versuchs, einen religiösen Glauben gegen
die Wissenschaft verteidigen zu wollen, respektive die Wissenschaft gegen den
religiösen Glauben ins Feld zu führen“ (Seite 3) und „Doch
ist zum Beispiel das Gespenst des Darwinismus gerade in eher bildungsfernen
religiösen Kreisen nicht vollständig tot. Das Gefühl der Bedrohung
des eigenen Glaubens kann sich durchaus noch an diesem Thema festmachen“
(Seite 5). Diese Aussagen beruhen auf einem ähnlichen Missverständnis
wie Ihr Irrtum unter Punkt 1. Grundsätzlich betreffen die Aussagen der
Evolutionslehre unseren Glauben nicht. Unser Glaube ist nicht abhängig
davon, was in wissenschaftlichen Publikationen und in den Medien über die
Ursprungsfrage geschrieben wird. Da wir die Fakten aber relativ gut kennen,
wissen wir, dass die Aussagen der Urknall- und Evolutionstheorie nicht wahr
sind. Deshalb verstehen wir uns in erster Linie als Evolutionskritiker und erst
in zweiter Linie als Kreationisten. Ich persönlich finde es ethisch nicht
vertretbar, wenn man nicht bewiesene Spekulationen in den Schulen, in den Medien
und in wissenschaftlichen Publikationen als Tatsachen darstellt. Wir haben nichts
dagegen, wenn man in den Schulen die Evolutionstheorie als Theorie, als Möglichkeit
unter anderen Möglichkeiten lehrt. Aber die Evolutionslehre wird an vielen
Schulen mit einem Absolutheitsanspruch vertreten, was für eine Theorie
ja widersinnig ist.
Bei unserer Arbeit geht es nicht um persönlichen Glauben, sondern es geht letztlich um die Redlichkeit in Wissenschaft und in den Medien. Den Urknall und die Evolution als Tatsache darzustellen ist nicht ehrlich und entspricht nicht den Fakten. Im Denken vieler Wissenschaftler ist Wissenschaft nichts anderes als angewandter Naturalismus, oder wie es Steven Weinberg formulierte: „Die Wissenschaft – ganz gleich, welcher Art – kann nur dann vorankommen, wenn sie annimmt, dass es keinen göttlichen Eingriff gibt, und erkennt, wie weit man mit dieser Annahme kommen kann.“ Die naturalistische Evolution beinhaltet nicht nur eine wissenschaftliche Theorie, sondern vielmehr die offizielle Weltentstehungslehre unserer modernen Kultur. Die wissenschaftliche „Priesterschaft“, die berechtigt ist, die offizielle Weltentstehungslehre zu interpretieren, gewinnt dadurch ungeheuren kulturellen Einfluss, den sie verlieren könnte, wenn diese Theorie in Frage gestellt wird.
3. Inkonsequenz
Meiner Meinung nach sind Sie in Ihrer Schrift nicht konsequent. Auf Seite 5
schreiben Sie: „In mythisch-bildhafter Form scheint Genesis 1-2 eine proto-wissenschaftliche
Theorie der Entstehung des Universums durch Gottes Willen zu skizzieren“.
Das ist eine Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehrt. Selbstverständlich
ist es jedem Menschen freigestellt, die Schöpfung als „mythisch-bildhafte“
Vorstellung zu sehen, aber das ist eine persönliche Sichtweise, die im
Widerspruch zu den Aussagen der Bibel steht und vor allem auch im Widerspruch
zu den Aussagen von Jesus Christus, denn Jesus Christus hat die Schöpfung
und die „Urgeschichte“ immer als historische Tatsachen verstanden.
Ihre Inkonsequenz ist nun die Folgende: Sie behaupten, dass der Schöpfungsbericht eine „mythisch-bildhafte“ Form der Erzählung sein soll. Aus dem neuen Testament erfahren wir, dass Jesus Christus am dritten Tag vom Tode auferstanden sei. Ist das nun eine „mythisch-bildhafte Form“ der Erzählung, oder ist Jesus Christus real in Zeit und Raum und in historischer Zeit tatsächlich von den Toten auferstanden oder nicht? Ich gehe davon aus, dass sie die Auferstehung Jesu Christi vom Tode als Tatsache verstehen, die real in Zeit und Raum stattgefunden hat. Wenn Sie diese Ansicht vertreten, dann beantworten Sie mir doch bitte die Frage, wo genau der Unterschied zum Schöpfungsbericht liegen soll? Aus wissenschaftlicher Sicht muss die Auferstehung von Jesus Christus ein Mythos sein, denn es gibt wahrscheinlich keine besser belegte Tatsache, als die, dass alle Menschen sterben müssen und dass eine Auferstehung noch nie beobachtet wurde. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Aussage aus dem Neuen Testament also eindeutig falsifiziert.
Zum Abschluss habe ich noch eine ketzerische Frage: VBG ist die Abkürzung von „Vereinigte Bibel Gruppen“. Aufgrund unserer Erfahrung mit dem VBG möchte ich Sie fragen, ob es in Ihrer Vereinigung auch noch Menschen gibt, welche die Bibel vom ersten bis zum letzten Vers als das inspirierte Wort Gottes auffassen? Oder ist diese Auffassung nicht mehr modern?
Gian Luca Carigiet, ProGenesis, 26. September 2004